Konzert Matthias Geuting

Do, 31.03.2011 20:00 Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche im Hansaviertel Händelallee 22, 10557 Berlin

Eintritt 8, ermäßigt 5 Euro

 

Programm:

Gerd Zacher Szmaty (1968)
Friedrich Jaecker Schrei (2001)
Mauricio Kagel Improvisation ajoutée (1961/1962)
Erik Janson Couleurs célestes (2011) UA
Juan Allende-Blin Mein blaues Klavier (1970) für Orgel, Drehorgel und Maultrommel
»Zerbrochen ist die Klaviatür …« (Else Lasker-Schüler)

»Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich; diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen.« (Franz Kafka)

 

Tobias Hagedorn und Reimar Stolze, Registranten

Matthias Geuting (Essen), Orgel

 

Die Komposition Szmaty von Gerd Zacher ist Isang Yun gewidmet und entstand als Reaktion auf dessen Verschleppung durch den südkoreanischen Geheimdienst, die 1967 internationales Aufsehen erregt hatte. Laut Zachers Kommentar ist der Titel »das polnische Wort für Fetzen oder Lumpen und bezieht sich auf den Psalmvers ›Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und über mein Gewand das Los geworfen‹. Die polnischen Laute lassen sich zu klanglichen Eigenschaften der Orgel in Beziehung setzen: SZ (gesprochen sch) = Rauschen, M = Summen, A = Schallen, T = Spucken, Y = Verklingen. So skandieren sie als umfangreichere Kapitel den langsamen Ablauf der Form.«

 

Friedrich Jaeckers Orgelstück thematisiert den Schrei als musikalisches Phänomen und ist somit einer Tradition zuzurechnen, die sich u.a. über Webern und Mahler bis hin zu Beethoven zurückverfolgen lässt. Das Ziel einer »reinen« Musik vor Augen, zeichnen sich viele neuere Werke Jaeckers durch eine extreme Reduktion der musikalischen Mittel aus. Im Anschluss an solche Tendenzen beschäftigt sich das Orgelstück nach Aussage des Komponisten mit der Frage, »inwieweit Elemente der Bedeutung oder des Ausdrucks von der Musik angenommen werden«.

 

Mauricio Kagels Improvisation ajoutée trug in den frühen 1960er Jahren zu einer Neuorientierung der Orgelmusik maßgeblich bei. »Der Schreck, den sie einjagt, ist keineswegs ein unheiliger«, formulierte Dieter Schnebel und sprach von einem »Kompendium«, das »so ziemlich alle Möglichkeiten des Instruments, die die Geschichte des Orgelspiels entwickelt hat, zur Anwendung bringen« wolle. Es mischen sich in diesem Stück Orgelklang und außerinstrumentale Äußerungen, wobei minutiös auskomponierte und nicht vollständig festgelegte Teile in ein vielschichtiges Verhältnis treten. Der komplex-vieldeutige Notentext (mit beispielsweise bis zu 43tönigen Akkorden oder gleichzeitig geschriebenen Phrasen auf vier Manualen und Pedal) scheint es in mancher Beziehung auf eine »Überforderung« des Spielers anzulegen, der aber gerade so in eine produktive Auseinandersetzung mit dem Werk hineingezogen wird. Von den beiden Registranten ist die Umsetzung detaillierter »Schaltpläne« verlangt, zu welcher spontane Aktionen aller Beteiligten in der Aufführungssituation hinzutreten.

 

Zu den Couleurs célestes, entstanden im Januar und Februar 2011, teilte Erik Janson auf Anfrage mit: »Ich komponierte größtenteils eine Art ›Klangfarben-Hoquetus‹. Bei einem Hoquetus – Prinzip und Begriff stammen schon aus der Musik der Frührenaissance – spielt eine Stimme immer in die Pausen einer anderen Stimme hinein, so daß der Eindruck eines »hicksenden«, in sich verzahnten Rhythmus entsteht. Ausgehend von geringen, feinsten Klangnuancen bei solchen Klangfarben-Hoqueti, sieht die Dramaturgie des Werkes eine Entwicklung hin zu immer deutlicheren Klangkontrasten und immer neuen Klangkombinationen vor. Ebenso entwickeln sich Rhythmik und Umfang der Tonhöhen insgesamt vom Einfacheren zum Komplexeren. Jedoch sei zum Verlauf des Stückes vorab nicht zu viel kommentiert, weil mir immer am wichtigsten ist, dass der Hörer sich seinen eigenen Eindruck machen kann, also die Musik prinzipiell unvoreingenommen und ohne »Höranleitung« auf sich wirken lässt.«

 

Mein blaues Klavier – der Titel des Orgelstücks von Juan Allende-Blin bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht von Else Lasker-Schüler, in dem es heißt: »Zerbrochen ist die Klaviatür … Ich beweine die blaue Tote.« In den fragilen, kaum je voll entfalteten Klang der Orgel hinein mischen sich irgendwann die stoßweise hervorgebrachten Töne eines Leierkastens. Heinz-Klaus Metzger bezeichnete das Stück als ein »nicht bloß die Gattungen, sondern auch die Kategorien sprengendes Gebilde, ereignet sich in dieser Musik doch der Zusammensturz der europäischen Zivilisation und vielleicht – dialektisch – ihre Rettung.«

 

Matthias Geuting